Nach einer ausgedehnten Dusche im größten Wellnesstempel des Samenlands rollen wir weiter gen Südwesten.
Hinein in ein bergiges Grün, das langsam seine Farben fallen lässt: ein erstes Gelb der Blätter.
Namenlose Flüsse und Seen fliegen vorbei, die so unberührt und sauber sind, dass Wehmut aufkommt, wenn man sie vergleicht mit all den verdreckten Gewässern des restlichen Erdballs.

Wenn diese Reise eines tut, dann ist es ein Gefühl für die ernste Verpflichtung, diese Welt mehr schützen zu müssen.
Mama Erde, wir haben nur diese eine und ihre Zerstörung schreitet in viel zu großen Schritten viel zu schnell voran.
Nach hundert Kilometern treffen wir auf die Hauptstraße aller Hauptstraßen des hohen Norden:
die E 45, die rechts gen Nordkapp rollt. Wir biegen links ab.
In Indien ist uns einst vorgeworfen worden, dass es hochmütig von uns sei, dass Taj Mahal links liegen zu lassen. Anscheinend haben wir die gleiche Arroganz noch immer: auch das Nordkapp lassen wir gnadenlos weg.
Damit ist auch die häufigste Frage geklärt, wenn es um unsere Reiseroute geht:
„Und? Schon am Nordkapp gewesen?“ Nö.
„Ihr fahrt aber noch, oder?!“ Nö.
„Lasst ihr das echt links liegen?“ Nö. In unserem Falle, liegt es ja rechts.
Die nächsten vierzig Kilometer des Tages –und die letzten—haben ein Kreuzchen im Kalender verdient, denn der Magicbus überholt ein anderes Autol!
Mit stolz geschwellter Brust schaffen wir es am Mittag bis nach Kautokeino.
Da wir am See, sieben Kilometer weiter, ein paar Tage bleiben wollen, nutzen wir in diesem kleinen Samendorf die Chance, unsere Vorräte endlich mal wieder ordentlich aufstocken.
Im Remo1000 kaufen wir erst das Nötigste – und noch viel mehr.
Der Gewinner des Impulskaufs ist eine riesige Bunte Tüte.

Vor vierzig Jahren gabs beim Meiering TanteEmma-Laden in Bocholt-Stenern für 50 Pfennig Taschengeld zehn Gummitiere (und eins kostenlos in die Schnute, wenn Frau Meiering nicht guckte). Heute ist es umgedreht.
Beim Remo1000 in Kautokeino gibt es fünfzig Gummitiere für 10 mal 10 Kronen. Dafür aber keins kostenlos in den Mund.
Der Zweitplatzierte des Spontankaufs ist ein Buch mit sieben Siegeln.
Ich bitte höflichst von Rückfragen abzusehen: ich weiß es selbst nicht, was mich reitet, als ich impulsiv Wolle und Stricknadeln in den Einkaufskorb werfe.
Stricken habe ich nie gelernt. Aber plötzlich will ich es.
Als wir am See antuckern, ist keine Menschenseele vor Ort. Der Platz hat bessere Tage gesehen, im Allgemeinen würde man von „eher abgerockt“ sprechen.
Die „Resepsion“ ist nur mit geübter Kombinationsgabe zu finden, dort tapert gerade ein grauäugiger Same in Gummistiefeln umher: der Platzwart.
Hinstellen können wir uns wo immer wir wollen.
Das ist damit: am Seeufer neben dem Sandstrand und Popo in den Wind, der ordentlich aus Süden kommend über den Teich bläst. Nach Chouchous Messung mit 4 Beaufort: eine „mäßige Brise“, die sich ungleich steifer anfühlt.
Camp aufbauen mit Sturmfrisur, das Dachzelt schlägt Alarm im Wind. Nach dreißig Minuten lernen unsere Stühle fliegen und wir entscheiden uns, dass heute Abend drinnen gekocht wird. Ein großer Luxus, der auf fast allen Plätzen in Skandinavien möglich ist: denn beinahe überall hat´s Indoorküchen zur freien Benutzung.
Als das Quinoa köchelt (Chouchou hat bis zum letzten Löffel keine Ahnung, was er da zu essen bekommt), überlege ich mir die ersten Strickschritte. Mit Youtube-Tutorials kann man ja angeblich auch OPs am offenen Herzen lernen, dann kann´s mit dem Stricken ja nicht so schwer sein.
Oh, wie weit gefehlt!
Nach dem Essen will ich die erste Maschen probieren: heidenlos erfolglos.
Siebenmal muss ich das Video zurückspulen, um überhaupt zu checken, wie man den Anfang hinbekommt. Siebenmal verheddere ich mich gnadenlos. Wie bloß kann das denn so schwer sein?

Nach dem sechszehnten, erfolglosen Versuch werfe ich die Nadeln frustriert von mir. Beleidigt wie eine Vierjährige, deren zehn Gummitiere von Meiering alle vom eigenen Bruder angeleckt wurden und damit ungenießbar sind.
Stricken –unfassbar!–ist ein Hexenwerk.
Es braucht viele, lange Atemzüge, damit ich wieder so alt werde wie ich bin.
Also: nochmal probieren!
Hexenwerk, das sollte ich doch lernen können.
Gefühlt brauche ich für die ersten zwanzig Maschen zwei Stunden. Aber immerhin: sie sehen einigermaßen gleichmäßig aus. Also:Dranbleiben!
Dann wird´s vielleicht auch irgendwann etwas mit dem eigenen Norwegerpulli, den man auch bezahlen kann…







