Unterwegs im Magicbus

What are you waiting for, honey?

Was für eine einsame und eiskalte und stille Nacht. Außer dem Schulbus, der am Morgen die buddhistischen Kids aus dem weltberühmten Kloster Gampo Abbey winkend abholte (an dieser Stelle kurz Danke an Pema Chödrön, die dieses Kloster leitet und unter anderem das unglaubliche Buch “Wenn alles zerbricht” geschrieben hat -quod erat demonstrandum), ist tatsächlich niemand vorbei gekommen. Nicht einmal im Schnee gibt es Elchspuren. Der befürchtete Grusel ist also ausgeblieben. Und wir allein im Meeresrauschen.
(Noch wissen wir nicht, dass genau das in 2 Stunden sehr gruselig werden soll…aber dazu später mehr.)

Mit kalten Nasen und dicken Wollmützen schlafen wir so lange wie noch nie in Kanada. Erst gegen halb acht trauen wir uns aus warmen Federn heraus, hinein in die kristallklare Luft- mit drei Lagen Buxen übereinander. Denn selbst um diese Uhrzeit hat es noch immer unter null Grad.

Über den verschneiten Waldpfad tapern wir mit 4 Crocs, 8 Socken (viel zu wenig!) und Kaffee auf unsere einsame Klippe und schauen unzählbaren Delfinen beim Luft holen zu. Frühstücksfernsehen de luxe, dem ansonsten nur noch die Hummerfischer in bunter Jolle 100m unter uns beiwohnen und denen sicher kein Jubelschrei mehr entfährt, als kurz darauf sogar ein Wal auftaucht. Mir schon.
Wie sagte der Herr in Antigonish so passend: “God created the Cabot Trail and decided it was perfect.” Er hat recht behalten.

Die entrückte Freude über dieses exklusive Schauspiel hält nicht lange an. Wie passend für diese Reise, die komprimiert Platzhalter für alle menschlichen Gefühle bis zum Anschlag ist. Um 10h wollen wir langsam lostuckern in Richtung Zivilisation. Die schlaglochdurchlöcherte Schotterpiste hinunter funktioniert das noch problemlos. Und dann kreischt es plötzlich entsetzlich aus dem linken, vorderen Radlager.

Wie erstarrt hält Chouchou sofort an. Dieses Schreien klingt ganz und gar nicht gut. Fast wie ein Schlachtbanksschrei. Oder – für jeden, der weniger hysterion als ich gelagert ist— auf jeden Fall ungesund bis ins Mark. Erst in diesem Moment wird uns wohl vollendend bewusst, dass wir auf der Route komplett von der Außenwelt abgeschnitten sind. Kein Internet, kein Telefonnetz, der einzige Mensch, den wir in den letzten 24 Stunden gesehen haben: ein buddhistischer Schulbusfahrer. Einer, der sehr wahrscheinlich erst morgen wieder vorbeikommt…wenn überhaupt.

Eigentlich haben wir ja nichts gegen Abenteuer. Also: gegen kleine. Wenn man Internet hat!
An kleinen Abenteuern, digital gut vernetzt, haben wir ergo eigentlich gar nichts auszusetzen! Dann, wenn man zügig Hilfe holen könnte. Oder wenigstens, wenn man ein gutes Nervenkostüm hat. Will sagen: Eigentlich haben wir just in diesem Moment rein ganz und gar nichts über für Abenteuer. Nicht mal für die, der kleineren Art.

Pema Chödrön schreibt in ihrem Buch: “Wenn alles zerbricht”, dass wir lernen müssen loszulassen. Hilfreicher fänden wir momentan einen findigen, buddhistischen Autoschrauber. Loslassen. Ja, was denn bitte!?
Die Angst, die mir den Nacken hochkriecht? Die Bremsbelänge? (An denen Chouchou übrigens nicht findet.) Die Idee, dass alles nach Plan läuft?
Loslassen kann ich momentan nur eins: ein Schluchzen.
Aus purer Verzweiflung.

Eigentlich müsste die Geschichte nun spektakulär weitergehen.
Tut sie aber nicht. Gott sei dank.
Wir warten ein wenig am Straßenrand. Keine Ahnung, auf was eigentlich. Auf ein Zeichen, das nicht kommt!? Auf einen Schulbusfahrer, der nicht vorbei fährt!? Irgendwann kommt Chouchou auf die glorreiche Idee, den Wagen einfach noch einmal neu zu starten. Und siehe da: das Kreischen ist weg.
So unvermutet wie es kam, so unvermutet bleibt es nun fort.
Die nächsten Kilometer rollen wir langsam, teils mit Warnblinkanlage die verschneiten Pässe rauf und runter. Immer mit Blick aufs Meer, immer mit so spitzen Ohren, dass wir die Wale unten in der Bucht husten hören könnten. Und hören: nichts. Ausser Meeresrauschen. Bis zu unserem heutigem Ziel am See, 80km weiter, soll das so bleiben. So, als hätte es das Kreischen nie gegeben. Seltsam. Sehr, sehr seltsam, Du bekloppter Magicbus.

Immerhin stehen wir drei -ein bekloppter Bus, ein seelenruhiger Chouchou und einen emotional achterbahnfahrende Chérie- heute Nacht etwas weniger abenteuerlich. In erster Reihe an einem See zwischen Hügeln, die alle scheinbar So gar kein Problem mit Loslassen haben.

Wieder fliegt ein Adler vorbei, Sonne scheint sanft auf ruhige Wellen, 14 Grad und in der Nacht soll es erstmalig nicht mehr frieren. Ich sitze auf einer verwitterten Bank und starre auf den See, nicht mal im Ansatz im Stande, die Erlebnisse der letzten paar Tage zu verarbeiten.

Vor ein paar Tagen fragte die Bedienung bei Tim Hortons: “What are you waiting for, honey?” Was für eine gute Frage…

What are you waiting for, honey?
Possibly for whales … and seriously for a wonder!
Oder wenigstens auf ein bisschen mehr loslassen…

2 Kommentare

  1. Hans-Jürgen Grundmann

    Es war einmal…
    …ein alter Mann. Das Leben hat ihm schwer zugesetzt und seine Beine verlangsamten seinen Schritt. Nun kam er in eine Familie, die ihn aufnahm. Gnadenbrot? Nein. Ein wenig Vitamine hier, ein wenig Zureden dort. Es wurde ihm offenbart, dass nun ein Marathonlauf ansteht. Wird schon gehen, alter Mann! Doch nach wenigen hundert Metern bereits begehrte er auf. Erschöpfung stellte sich ein. Doch mit gutem Zureden wird es schon weitergehen. Es sind doch nur noch 42 km.
    „What are you waiting for, honey?“
    FOR A MIRACLE !
    Good luck!

    • Chérie

      …und wir schaffen die 42km. Langsam, mit Pausen und im Herzen gemeinsam.
      I do believe in miracles.
      Deine Anelie

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