Auf Plastik schläft es sich nicht allzu mega, aber wir sind am Morgen happy: erwachen im eigenen Stadthaus in Eauze, der Kaffee ist selbst gebrüht. Es gibt auf diesem Weg wenig kostbareres als das: Selbstbestimmtheit. Außer vielleicht Mandelcroissant zum Frühstück.

Nächster Tag des „Camino buenos“: Sonne mal wieder, die schneebedeckten Gipfel der Pyrenäen winken verheißend am Horizont. Wir hören den Lockruf und reden am Abend darüber. Möglicherweise gilt es irgendwann die Route anzupassen?!
Weinreben für Weinbrand „knack knack Armagnac“ an unserer Seite, nüchtern. Butterblumen, die von Frühling erzählen und erste Zikaden vom Sommer. Wir wandeln durch einen grünen Tunnel. Fischteiche, in denen welche Schuppentierchen auch immer gezüchtet werden.

Der erste Ort auf der Strecke heißt Manclet. Die Stierkampfarena hat schon lange dicht. Genauso wie alle Kaffeealternativen, die wir dringend geplant hatten. Lerne: Never trust an old Reiseführer. Am zentralen Ort werden Kulturevents von 2019 beworben und auch die Kirche hat zu. Immerhin gehts über eine froschgrüngeile Brücke weiter. Irgendwo hinter Kilometer 11.

Perfekte Wolken, die wie Wattebäusche an den Himmel geworfen wirken. Wir kürzen über eine unbefahrene Straße ab. Die hellgrünen Weinreben in Reihe sehen aus wie pubertäres Gestrüpp, das gezähmt werden soll. Die pflanzlichen Irokesenschnitte gefallen mir deutlich besser als jedes gestutzte Gewächs. Aber was soll´s: ich bin nicht die Winzerin.
Ein Baum mit Dreadlocks im Nirgendwo. Möglicherweise Anbetungsplatz der Pastafari? Anderes Heiliges sehnen wir heute nicht. Außer vielleicht: Happy Birthday, Nutella.

Kurz vor Nogaro sind die Vögelchen außer Rand und Band, der Wegesrand voll mit Saubohnen.
Dies fühlt sich schon lange nicht mehr nach Südfrankreich an, sondern wie ein ganz eigene Welt. Die Via Podiensis. Wo die Menschen nur aus purem Zufall französisch sprechen. Wo eine ganz andere Weltzeit gilt. Jenseits von allem anderen. Auf einem anderen Stern.

Nach 19km sind die Fersenschmerzen unverändert wieder da.
Wir sitzen auf dem Boden im Schatten, fersenleckend, als Lotto King Karl vorbei kommt.
Und: was macht die Lotterie von gestern? Nichts gewonnen, sagt er. Aber er kann schmerzverzerrt bestätigen, dass es diesmal auch bei ihm die Fersen sind, die schwächeln. „Jedes Jahr was Neues.“ Wem sagt Du das, Karl!? Beruhigend allerdings ist: Schmerzen hat anscheinend wirklich jeder auf diesem Camino.

Bis zum Zentrum Nogaro sind es insgesamt 24 Kilometer für uns.
Wir checken in der Gite d´ etape communale ein. Mit zwei Tüten voller „Carrefour Hypermarché Food“. Super, vegetarisches Essen kochen: selbstbestimmt. Besser geht nicht. Außer vielleicht noch Zweibettzimmer.

Was ist eigentlich das Schöne an diesem Weg? Wenn allen alles immer mehr wehtut? Wenn jeder Tag ein Aufrappeln und schleppen ist? Bis zum Ausatmen des endlich wieder Ankommens am Abend.
Vielleicht sind es all diese kleinen Dinge, die uns weiter machen lassen. Das stille Gehen und nachdenken. Das reden darüber. Die Freude an weitem Himmel und Sonnenschein und einem leichten Windhauch bei Hitze. Die Dankbarkeit des kurzen Ankommens am Abend, das morgens wieder weiter ziehen dürfen. Und immer da sein.
Weiches Bett, warme Dusche, nahrhaftes Essen — wenn’s mal da ist.
Das zart sein mit und aufpassen auf die Dinge, die man bei sich trägt. Die Kostbarkeit jedes einzelnen Teilchens, das gepflegt werden will. Warmes Überziehjäckchen am Abend, gute Socken in wackeren Schuhen, die Liebe zueinander. Alles unfassbar wertvoll. Wie oft wir das doch vergessen.

Apropos wichtige Dinge, die man bei sich trägt:
Nach nur einem Tag habe ich vor ein paar Tagen meine „Jesus loves you“-Käppi verloren. Nicht gut aufgepasst, nun fehlt es mir sehr. Emotional und vor allem in der Mittagssonne, die zunehmend auf südfranzösisch brennt.
Heute gab es im Carrefour ein neues Mützchen. Es stecht nicht „Jesus loves you“ drauf, stattdessen: „catch the waves“.
Möglicherweise ist dies so viel passender. Und meine Freude grenzenlos.
Auch das ist ein Punkt, den ich mir dringend merken müsste.

Ab jetzt: gut drauf aufpassen. Auf alles. Alles Wichtige.