Geschlafen bei unter 16 Dezibel: wer dann noch wach wird, darf sich sicher sein, eine ruhige Nacht gehabt zu haben.
Hatten wir. Herrlich. Und lebendig wieder erwacht.
Ich versuche mich mit unter 15 Dezibel über knarrende Treppen nach unten an die Kaffeemaschine zu schleichen, um Raymond nicht zu wecken. Der aber sitzt schon munter beim Frühstück.

Statt Baguette mit Konfitüre gibt es heute Morgen für uns Raymonds sehr bewegende Lebensgeschichte zum Petit-dejeuner.
Ein wackerer Mensch, der —nach einem herzlichen Lachen— genauso zu Tränen rührt. Lachyogalehrer aus den Schweizer Alpen und Postbeamter a.D..
Ach wir Menschenseelen. Tragen alle unser Päckchen. Mal leicht, mal schwer — manchmal gemeinsam, manchmal allein.
Ganz sicher macht es es uns allen einfacher, wenn wir unsere Geschichte teilen. Einfach mitteilen. Gemeinsam lachen und weinen — verbindet. Gemeinsam leben — eben.
Ein gutes Learning beim zweiten Kaffee.

Außerdem steht für uns heute allzu nicht viel an. Außer des obligaten „neue Unterkunft für morgen suchen“ und „etwas warmes Vegetarisches auftreiben, das nicht gekocht werden muss“.
Beides dauert zusammen drei Stunden. Natürlich eine Unterkunft für morgen gefunden zu haben.
Sagte ich schon, dass die Logistik beinah so anstrengend ist, wie das laufen?
Meine Fersen sehen das zwar ganz anders, aber mein Kopf hat natürlich rechter. Darauf erstmal Käsekuchen.

Immerhin finden wir für die zweite und dritte Etappe nach Montreal schon jetzt eine Unterkunft. Es war uns so lange zu wider, tatsächlich drei Tage vorauszuplanen, nun aber endlich fruchtet das „eines besseren belehrt zu sein“.

Die nächste Etappe bis nach Eauze aber scheint heikel zu werden.
Entweder antwortet niemand auf unsere Anfrage via Telefon oder Mail oder die Kommentare sind so vernichtend, dass man gar nicht mal fragen mag.
Mein Lieblingskommentar nach „ungesund“, „Wespennest im Zimmer“ und „da muss das Gesundheitsamt rein, um dicht zu machen“ lautet:
„When the owner took of all his clothes in front of us and jumped naked into a discusting little green lake I decided that I’ve had enough.“
Bonjour Via Podiensis.

Den Rest des Tages sitzen wir auf der kleinen Piazza vor dem Supermarkt in der Sonne. Ein koreanisches Paar zieht vorüber: sie flott, er Piratenbein.
Ein einheimischer Filmemacher um die 80 spricht uns an: sei Scheiße hier zu wohnen, sagt er. Genauso Scheiße wie wandern. „Scheise-randonner“, wie recht er doch hat.

Im Supermarkt wählen wir das zweite (und letzte) vegetarische und Mikrowellen-kompatible Essen: Kartoffelgratin aus der Dose. Dazu gibt es Raymonds zurückgelassenen Salat, aus dem wir die arme „Poulet“ rauspulen. „Essen wir Gott in Frankreich“ ist nix für Vegetarier.

Und dann ist unser Pausentag viel zu schnell auch schon wieder um.
Eine Wanne darf es noch geben (lieber Gott, bitte mach, dass das Wasser heute warm wird!) und ein Glas Wein.
Nicht halbvoll, sondern voll bitte.
Habe ich von Anna Rosa gelernt.
Gut, auf die Weisen zu hören:
Glas voll machen bitte und „scheise randonner“.
Wo bitte ist also das nächste Taxi?