Unterwegs im Magicbus

Es gibt Schlimmeres als 27km durch den Lot zu laufen…

Der Karfreitag fängt an, wie ein Karfreitag anfangen sollte: wieder wild geträumt, schlecht gelaunt beim Aufwachen.
Angemessene Laune bezüglich der Tatsache, dass der Messias vor knappen 2000 Jahren just an diesem Tag ans Kreuz genagelt wurde.

Unsere Herbergsmutter aber ist gut drauf. Schon vor dem ersten Kaffee erzählt sie uns (möglicherweise) ihre halbe Lebensgeschichte, leider verstehen wir kaum ein Wort, da ihr Akzent schwer livinhac‘sch ist. Wir nicken aber freundlich und lächeln.

Zwei Stück Baguette mit selbstgemachter Marmelade und ein Crêpe, danach geht’s wieder los. Bei Gewitterstimmung und drückender Schwüle in der Luft: Regenwahrscheinlichkeit 80%. Natürlich geht’s die ersten 200 Höhenmeter erstmal bergauf.

Die Luft steht, in ihr dunkele Geister, denen man durchaus zutraut, dass sie „Kreuzigt ihn!“ brüllen, ohne sich zu zeigen. Unbegründete Wut beim aufwärts schwitzen: es ist kein guter Pilgerstart heute.

Am Drei-Bischofskreuz verlassen wir das Aveyron: wir sind tatsächlich einmal durchs gesamte Departement gelaufen. Von Osten nach West: fast 150km.

Gedanken und Gefühle schwirren durch Kopf und Bauch, die im Blog nichts zu suchen haben. Rein physisch wirkt es heute so, als würden wir kontinuierlich nur ab- statt aufbauen.
Ob die Knöchel und Knie ab nun jeden Tag so drücken und ziehen und keifen? Oder gewöhnt man sich langsam daran?
Heute haben wir keine Ahnung. Wir werden es wohl irgendwann sehen. Und spüren.

Ein artistisches Refugium am Wegesrand für Gestrandete. Am liebsten wollten wir….müssen aber weiter.

Kleine Dörfer ohne Infrastruktur.
An einer Kapelle nehmen wir unser karges Mittagsmahl ein: drei Balisto Honig und ein Erdbeer-Apfel-Quetschie. Genug ist das nicht, aber sei es drum.

Das versprochene Trinkwasser an den Kirchen die wir abtippeln, bleibt aus. Auch die öffentlichen WCs sind zu. Siehe: Wir sind nicht mehr in Aveyron, sondern am Rande von Lot gelandet.

Obwohl angesagt —und die Luft schwanger von Donner— gewittert es den ganzen Tag über nicht.
Auch die Wanderslaune hebt sich —oh Wunder— wieder.
Sehr wahrscheinlich hat Ludwig sein Händchen im Spiel. Heute wärst Du 102 geworden:
Happy Birthday in den Himmel.
Zwei Kerzen in Montredon als Lichtgruss nach oben für Dich.

Und: Danke für Dein Geburtstagsgeschenk an uns: trockenes Wetter und Launenhub am Mittag.

Nach 15km beginnen uns Essensträume zu malträtieren. Träume vom frischem Spargel mit zerlassener Butter und Salzkartoffeln….
Sehr viel Weg, heute oft an der Straße entlang. „Gefährlich“, meint ein Warnschild, und gefühlt endlos.

Noch eine Kapelle.
Wieder finden wir im Besucherbuch einen Eintrag vom Pilger „Klaus-Jakobsjunge“. In jeder der von uns besuchten Kirchen hat er bisher seinen Stempel hinterlassen: mit dem Wollen/Brauchen-Gap Satz.
Erstmalig hinterlässt er in der Kapelle von Guirande nun auch noch seine Telefonnummer. Neben der Selbstaussage: „schon wieder der verrückte Deutsche.“
Ein bisschen traurig fühlt sich das an. Und sehr einsam.

Die Füße werden immer müder.

Am Straßenrand plötzlich die Frage:
Pilger, wo gehst Du hin? Warum machst Du diese lange Reise?

Eine sehr gute Frage an Karfreitag.
Warum laufen wir uns die Füße platt, die Achillessehnen wund, warum liegen wir nicht drei Monate einfach am Strand von Thailand? Es wäre sogar günstiger…
Ich habe eine Ahnung. Verraten aber will ich sie noch nicht.

Nach 18km kommt eine einsame Bank — wie gerufen, fast bestellt. Gewollt und dringend gebraucht!
Das Schuhe ausziehen aber erweist sich ganz und gar nicht als gute Idee. Beim wieder loseiern (anders kann man es nicht nennen), versagen die Füße fast den Dienst. Kein hysterisches Theater: für einen Bruchteil von einer halben Stunde glaube ich, keinen Meter mehr gehen zu können.
Augen zu und durch, versuch dich einfach auf was anderes zu konzentrieren. Atmen und einfach weiter im Eiergang.
Fast unglaublich, dass wir die letzten neun Kilometer wirklich noch schaffen.

Kurz vor Figeac.
Bullerbü Bauernhöfe, freilaufende Hühner, wunderschöner Weg bergab. Dann endlich das Ortsschild.
Mit einem toll designten „Nachts ist Licht aus“- Schild als Auftakt.

Figeac.
Gebrauchsstadt im Nordosten des Departements Lot. Knappe 10000 Einwohner. Knüsselig und sehr nett.
Man freut sich, dass der Ägyptologe Champollion (wer kennt ihn nicht?) Sohn des Dorfes ist. Trotz zahlreicher Krankheiten und Ohnmachtsanfälle schaffte der es die Hieroglyphen zu entziffern: ein Museum ist stolzer Zeuge davon.
Ansonsten wird hier wenig geprotzt, sondern eher gelebt. Gegenüber der Handwerkerbar liegt das Fachgeschäft für Gänseleberpastete.
Die beste Pizza der Stadt dauert eigentlich 2 Stunden, der Bäcker allerdings ist auch Magier: uns zaubert er ein heißes, vegetarisches Exemplar sofort unter der Theke hervor. Figeac … Du kannst es.

Nach 27km erreichen wir endlich unser Schröddelhotel. Passend zur restlichen Stadt, nahe der Kathedrale.

Unser Zimmer ist billiger als die Herberge — und geöffnet. Schöne Überraschung: aus dem angekündigten Gemeinschaftsbad wird nichts. Wir haben Dusche und Toilette tatsächlich auf dem winzigen Zimmer.

Dieser Karfreitag geht also versöhnlich zu Ende. Mit platten Füßen und nach viel Flucherei.
Dringend Zeit für eine Dusche und eine Fußmassage! Danach können wir auch die Frage abhaken:
„Mein Gott! Warum hast Du mich verlassen?“
Denn es gibt wahrlich schlimmeres, als freiwillig 27km durch Lot zu laufen….

 

2 Kommentare

  1. Dagmar

    Chapeau, ihr Jakobshelden.
    Soweit die Füße und der Geist tragen.
    Stolz könnt ihr sein auf eure Kräfte.
    Und wenn diese nachlassen, pausiert ihr einfach, macht euch keinen Druck.
    Aber nie mehr unterwegs die Schuhe ausziehen, ganz schlimme Todsünde. Sagt mein häuslicher Experte.
    Mir persönlich hilft zählen.
    Weiterhin toi, toi, toi und kraftspendende Grüße

    • Joana

      Liebe Dagmar!
      Ich hätte dringend vorher fragen sollen. Nun war‘s lernen anhand von fühlen. Wie Monsterhufe in zu enge Tanzschühchen zwängen. Pfui bah.
      Ab nun dauerzählend und natürlich
      Frohe Ostern wünschend,
      Dein Zartpfötchen

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