In jeder Nacht auf dem bisherigen Weg träumen wir beide wie wild. Heute aber setzt sich den nächtlichen Bildern noch der mittelalterliche Wahnsinn drauf.
In diesen brüchigen Gemäuern leben alte Geister, die nach Mitternacht ihr Unwesen treiben in den ahnungslosen Köpfen von armen Pilgern.
Und so entdecke ich in dieser Nacht nicht nur ein neues Universum, indem ich einen geheimen Auszug nehme, sondern tanze auch mit einem dementen Mann AustronautenQuickstep. All meine engsten Freundinnen besuchen mich: eine schwimmt in einem Meer voller Orcas, eine dated einen jungen Wissenschaftler, der das allgemeine Weltverständnis revolutioniert, mit dreien tanze ich auf einer wilden Party in NewYork. Kurt Cobain ist sich da — in einem Elch Kostüm. Und kurz vor dem aufwachen will der Papst von mir wissen, warum wir den Jakobsweg eigentlich gehen, während meine Wanderschuhe endgültig zerreißen.

Frühstück beim grumpy Wirt. Wir bekommen Milch zum Kaffee, sein Knurren ist leiser geworden und seine Schritte schwerer.

Über die Pilgerbrücke raus aus Conques.

Sehr harter Aufstieg — meinen auch unsere ersten Pilgerkumpel: drei junge, verrückte Franzosen, die sich entzückt und barbrüstig den Wald rauflärmen.
Wir taufen sie „unsere Gürteltierpilgerfreunde“. Weil Gürteltiere ja —wie wir seit Mississippi wissen— die lautesten Waldbewohner der Welt sind. Und entzückend.

200 Meter unter uns liegt Conques. An der Kapelle schlagen wir die Glocke. Schwieriges Unterfangen, nur umsetzbar durch den Einsatz des gesamten Körpergewichts. Im Kapellenbuch haben sich die fünf deutschen Pilger verewigt, die uns in der Herberge in Golinhac zuvorkamen. Und nur Gott weiß, warum bloß sie sich entschieden, ihre Initialen in die menschenunmöglichste aller Formen aneinander zu reihen!?
„Die fünf aus Passau,“ steht da. Unterschrieben: „SS WC Fe“.
Fünf Schutzstaffel-Toiletten-Feen aus Passau… oder steht Fe für Eisen!?

Pause nach 6 Kilometern in steilen und kopfstehenden Noailhac.

Die Bar hat tatsächlich geöffnet. Freundliches Volk am Tresen, zwei betagte Herren trinken Rosé zum Mittag, wir bekommen die größten „Sandwichs“ der Welt mit Cantalkäse. Krachen beim Reinbeissen.

Einer der Gürteltierfreunde humpelt herein, er hat sich das Band beim Aufstieg aus Conques gezerrt. Nur für ihn ist heute der nächste Heilige, der nach dem Kreuzweg raus aus Noailhac, in der folgenden Kapelle auf dem Kamm seine Kutte lüpft. Aus Empathie für bänderkranke Pilgern: Guck, ich hab auch. Buntes Glas als Trost.

Oben angekommen laufen wir stundenlang über einen Bergkamm, meist an einer einsamen Straße entlang. Panoramaaussicht zu allen Seiten. Wir sehen: auf der Aubracschen Hochebene liegt mittlerweile Schnee. Über uns ein Wolkenspiel mit vielen Bedeutungen.

Am Wegesrand ein paar Lamas, Pferde, natürlich Kühe. Wir schauen Schafen beim Spurt zu, ein eisiger Wind weht.

Unsere Gürteltierfreunde tanzen —trotz angeschlagener Bänder— auf unbefahrenem Feldweg, als wir sie wieder treffen. Gute Menschen.

Die Strecke zieht sich. Ein lustiger Kegelberg taucht auf, darunter liegt Decazeville. Nach 22,6km. Endlich.

Heute haben wir Facetten unserer Füße kennengelernt, von denen wir noch nicht wussten, dass sie in unseren Fussgewölben überhaupt existieren. Unseren Gürteltierfreunden geht’s genauso. Wir treffen sie erneut im runtergekommen, recht verwaisten und verwüsteten Ortskern wieder.
Sie müssen auf wunden Ballen noch weiter, wir aber bleiben.

Im Hotel Mapel, Zimmer 112, kurz nach Streetart und den zwei Autos, die Knies haben.

Zum Abendessen gibt’s das beste, was der Carrefour herzugeben hat: Frisches!!

Und dann ein Bad in der blätternden Hotelnasszelle aus den unrenovierten 60er.

Beides eine Wohltat.