Unterwegs im Magicbus

Und Conques sprach: Fasten sollt Ihr!

Am Morgen liegen Wolken im Tal unterhalb von Golinhac, der Weitblick über die Berge reicht zurück bis Nasbinals. Wo wir vor 5 Tagen losgelaufen sind.

Monique serviert uns selbst gemachte Marmelade und tatsächlich die Käseplatte von gestern Abend, über die wir sehr lachen mussten. Denn nur die Deutschen futtern die ganze Platte mit einem Kilo Käse leer. Und wir mussten gestehen, dass wir es im geschlossenen Hotel in St. Chély ganz genau so gemacht haben. Sehr zum Wunder unseres Hoteliers. Deutsche Kretins: fressen abends als Dessert ein Kilo Käse im Wert von 30€.

Der erste Teil des Weges läuft nach Bilderbuch: die Wärme verscheucht den Gefrierpunkt, Sonne über den Hügeln, liebevolle Kleinigkeiten am Wegesrand: von Menschen für Menschen.

Das erste Mal ahnend, dass dieser Weg möglicherweise wirklich etwas Magisches an sich haben könnte. Dass es sich anfühlt, am richtigen Ort zu sein.

Auen, Bäche, Brücken. Mit uns sind nur die frühen Schmetterlinge unterwegs. Vor meinem inneren Auge immer wieder das Bild eines der allerwichtigsten Menschen meiner Welt, der sich so herzlich kaputtlachen konnte wie kein anderer. Ein inneres Bild sprudelnder Lebensfreude. Wunderschön und zart wehmütig.

Ein Tête-à-tête mit dem sanftmütigsten Esel der Welt. Herzberührend. Sehr.

Und die Erkenntnis, dass sich die meisten Persönlichkeitseigenschaften der momentanen Situation anpassen:
Freundlich? Bin ich. Und unfreundlich.
Humorvoll? Und viel zu garstig und ernst.
Weltoffen? Und engstirnig und verbohrt bis ins Mark.
Nur die Tierliebe — die ist immer gleich und immer da. Vielleicht meine unverrückbarste und zuverlässigste Eigenschaft.

Pause am Fluss in Espeyrac nach 8,4km. Auch in diesem Dorf: alles zu. Nur der Popanbär hält wacker Wache.

Ab Sénergues zieht kalter Wind auf. Auf dem Kamm wehen die Böen uns fast davon. Eisig, Daunenjacke an, von den mittäglichen 15 Grad ist nichts mehr zu spüren.

Mehrere, kleine Örtchen folgen noch. In allen sorgt der Aveyron basal gut für seine Pilger: Trinkwasser und öffentliche Toilette in jedem Dorf, nur geöffnet hat weiterhin gar nichts — außer der Kirchen. Kein Café au lait also für Chouchou (das „au lait“ haben wir uns in den letzten Tagen eh schon abgewöhnt). Wir sinnieren über die
Erfindung einer portablen Pilger-Espressomaschine, Gesamtgewicht: 230g.

Abstieg nach Conques: berühmt berüchtigt in der ganzen Region. Der Wirt aus St Chély hat uns eindringlich davor gewarnt. Nach 500 Höhenmeter Geröllabstieg vor der Haustür. Die Haxenbrechernummer von vor fünf Tagen…
War viel schlimmer als der Abstieg heute. Weil es nebenan immer schlimmer ist als daheim!?

Conques:
unser Appartement mit Kitchenette finden wir prompt im Mittelalterdörfchen. Nach 22km endlich angekommen!
Jetzt müssen wir nur noch flott etwas einkaufen gehen. Für heute und morgen: unserem Pausentag nach knappen 100km.

Google Maps glauben wir erstmal nicht: angeblich kein Supermarkt in Conques!? Wie oft haben wir diese Woche schon gelernt, dass das Internet so gerne flunkert.
Wie stiefeln also einfach mal los — schauen.

Tatsächlich gibt es eine Menge Restaurants und Cafés in der Stadt. Leider alle zu. Die Touristeninformation aber ist geöffnet, also fragen wir hier nach —zumindest— einem Tante Emma Laden.

Noch immer kann ich es einfach nicht glauben! Bereits 20 mal vor mich hingestammelt, wird die Tatsache einfach nicht greifbarer: in diesem Ort gibt es keinen Supermarkt. Keinen Tante Emma Laden. Keine Bäckerei. Keinen Markt. Nichts.
Lediglich 15 Restaurants — alle zu. Alle öffnen am 1.4. — kein Scherz.
Wir haben unseren Pausentag scheinbar im einstigen Dorf Frankreichs geplant, in dem ein Pilger verhungern kann. Mit Augen in der Auslage von mehr als einem Dutzend Restaurants — noch sechs Tage geschlossen.
Wenn wir nicht so hungrig wären, wir müssten uns beinahe totlachen.
Weil es herrlich urgrotesk ist und bekloppt.
In jedem kleinsten Dorf, durch das wir die letzten 100km gelaufen sind, gab es zumindest eine Bäckerei. Überall in Frankreich, im letzten Winkel.
Nur nicht in Conques.

Am Morgen noch hatte ich den Gedanken: vielleicht hat dieser Weg ja wirklich etwas magisches.
Die oft zitierte Floskel: „the camino provides“ — der Weg sorgt für Dich— könnte nirgendwo lustiger sein als just in diesem Moment.

Was also tun?
Morgen weiter gehen wollen wir unter keinen Umständen. Die Füße haben sich zu sehr auf diese Pause gefreut.
Außerdem ist den ganzen Tag lang Starkregen angesagt.
Ob wir wohl verhungern müssen, frage ich die mitleidig dreinblickende Angestellte der Touristenoffice?
Möglicherweise nicht, denn es gibt einen Laden, der geöffnet hat: ein kleines Souvenirgeschäft.
Und im Notfall natürlich das Klosters. Das hätte zwar nicht geöffnet (ab wann!? Na rate bitte! Bingo: heilig ab 1. April), aber vielleicht haben die ja ausnahmsweise ein gutes Herz für hungernde Pilger!?
Wie dem auch sei: wir versuchen es erst beim Inhaber des Tourishops. Ein Herz für hungernde Pilger hat der eindeutig nicht.

Kurz vor knapp pesen wir in den Souvenirladen und erklären unsere Lage. Dem knurrigen Langhaarigen hinter der Kasse könnte nichts egaler sein, als dass wir vor Hunger fast umkippen. Er will nur Feierabend machen. Sofort.
Wir stürzen uns also in die Regale.

Das Dosenfleisch wollen wir nicht. Und auch nicht die GänseleberstopfPastete. M&Ms aber sind fein, die nehmen wir. Und die einheimischen Chips, Rotwein und Walnusskuchen (vergiss die Allergie!) für schmerzfreie 8 Euro.
(Reminder: heute hatten wir lediglich ein Croissant mit Moniques Marmelade, ein Stück Baguette mit Käse von der deutschen Kretinplatte, einen Naturjoghurt und ein PocketCoffee unterwegs).
Im Souvenirladen gibt auch Aligot-Pulver (historisches Pilgeressen: Kartoffelpüree mit Käse) — muss man eigentlich mit Milch anrühren. Die hat der Knurrige nicht, wir nehmen das Pulver trotzdem (siehe Reminder: extrem grosser Hunger…). Noch sind wir guter Hoffnung. Weil der Camino ja angeblich „provides“…

Und siehe da: es gibt tatsächlich noch ein geöffnetes Etablissement in Conques.
Die Bar.
Hinter der Theke winken uns 11 Liter
Milch freundlich. Wahnsinn: der camino „provides“ ja wirklich!

Wir bitten den Wirt, uns einen Liter Milch zu verkaufen. „Non!,“ schreit der, entsetzt und wild gestikulierend. „Ich brauche alles für mich selbst!!!“

„The camino provides…“
Manchmal vielleicht anhand von Aligot-Trockenpulver!?
Etwas desillusioniert schleichen wir nach Hause mit unseren Vorräten.

Öffnen den Kühlschrank…

Und siehe da:
Milchpulver!
Ach ehrlich: Das kann sich doch niemand ausdenken…

2 Kommentare

  1. Dagmar

    Ich lach mich schlapp
    Wetten, im Kloster gibt es eine warme Pilgersuppe.
    Und zur Not es ist Bärlauchzeit, damit schmeckt auch angerührtes mit Milchpulver.
    Ganz mitfühlende Grüße

    • Die Globetrottels

      Liebe Dagmar!
      „Globetrottels“= quod erat demonstrandum…😂
      Man muss schon selten dämlich (oder desorganisiert from hell) sein, um einen solchen Stunt hinzulegen.
      Wir haben uns gerade vorsorglich mal in die Messe geschlichen. Damit unsere Gesichter heute Abend am fünfköpfigen Mönchstisch nicht auffallen.;-)
      Wünsch uns Glück,
      Deine fastenden
      Globetrottels

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