In Estaing braucht man keinen Wecker. Der Glöckner bimmelt einen wach. Wegen lahmer Zunge am Abend heißt er für uns nur der „Hampfzeilglöckner“. Unser Wirt serviert im Leopardenpulli altes Brot und wirkt etwas knurrig: wegen des Hampfzeilglöckners am frühen
Sonntag womöglich.

Über die verzwirbelte Mittelaltertreppe runter, geht’s im Niesel los. Pünktlich vom Hampfzeilglöckner hassenden Wirt auf den Glockenschlag rausgeworfen.

Immerhin per Mail die freundlichste Herbergenabsage seit Beginn der Pilgerei. Regine hat zwar keinen Platz für uns —5 deutsche Pilger belegen heute Nacht ihre Betten— nennt uns aber eine Alternative für die Nacht abseits des Jakobswegs. Im Notfall würde sie für uns dolmetschen, wenn wir heute Abend nicht zurecht kämen. Und erneut die schriftliche Bestätigung: vor April ist’s hart, einen Unterschlupf zu finden.

An der Lot entlang.
Ab Kilometer vier geht’s gnadenlos bergauf: 300 Höhenmeter lang, angeblich an insgesamt 20 Kreuzen vorbei.
Mittlerweile in Ponchos, da der Niesel zugenommen hat. Wir finden bis Ankunft lediglich drei Kruzifixe am Wegesrand…

Kilometer 7: Zwei AubracKühe sind von der Weide ausgebüxt. Liberté pour vaches!
Sie beäugen uns skeptisch — oder neugierig? Grund genug, uns angstsingend an ihnen vorbei zu drücken. Und die Erkenntnis: Nur der Kühe Gutmütigkeit bewahrt uns vor dem blanken Tod. Sie sind uns körperlich heidenlos überlegen. Und wie danken wir ihnen Gutmut und Neugier? Indem der Mensch sie aufisst. Seltsame Welt.

Pause nach Kilometer acht.
Ponchos trocknen im Höhenwind. Jemand hat an die Garderobe geschrieben: „J‘ai mal aux tentacules.“ Schmerzen an den Fangarmen, ich weiß genau, was er meint.

Der plötzliche Temperaturabfall lädt leider nicht zum langen Verweilen ein. Im Aveyron hat’s heute Mittag um eins gefühlte 6 Grad. Und der Regen kehrt zurück mit einem kalten Wind im Schlepptau.

Bis zum Ende des Tages haben wir fast all unsere Klamotten einmal angehabt: Daunenjacke, Mütze, Schal, Windjacke, Poncho…und den Rest darunter. Warm eingepackt und Schönes und Kurioses am Wegesrand.

Wiesen, Aussicht und Flüsschen. Manchmal idyllisch hinter Stacheldraht. Meist ein Auenland mit Zauberbäumen.

Die fünf deutschen Pilger überholen uns. Die ersten ihrer Art seit Nasbinals. Und staunen nicht schlecht über unser Wissen, dass sie heute Nacht bei Regine übernachten. Regine, die einzige, die Fremdenzimmer in dieser Gegend zu dieser Zeit vermietet und nette E-Mails schreibt. Neben Monique und Michel.

Um vier klingeln wir diesen. Monique, eine breit lächelnde Dame um die 75, öffnet. Hier —in Golinhac— dürfen wir in Wärme ankommen. Nach 15,7 nassen und kalten Tageskilometern.

Ganz langsam beginnen unsere Körper zu verstehen, dass das Laufen keine Eintagsfliege ist. Nur Chouchou Zeh und meine Archillissehne sind diejenigen, die noch dagegen ankämpfen.

Frisch und heiß geduscht mit der herrlichsten Seife ganz Frankreichs, warten wir unter Engels- und Enkelsaugen im eigens für uns reservieren Obergeschoss nun aufs Abendessen. Monique wird kochen: es kann nur bestens werden.