Unterwegs im Magicbus

Orcas mit Post-Dusche-vollgesprenkelten Waden

Ein Regentag in Porteau Cove.
Aus dem gestern angekündigten Starkregen wurde –Gott sei Dank—nicht allzu viel. Große Pfützen vor dem Magicbus aber sind silbrige Zeugen, das ein ergiebiger Dauerregen trotz allem die Nacht niederkam und mit Nichten daran denkt aufzuhören. Er soll uns vergönnt sein, denn wir halten es weiterhin damit: Regen bedeutet ausruhen und die Welt in Frieden lassen, bedeutet dankbar sein, dass die Waldfeuer in British Columbia hoffentlich bald ein Ende haben, bedeutet, dass durstiges Land endlich trinken kann.

Ein Spaziergang darf natürlich trotzdem sein: am südlichsten Fjord Nordamerikas, dem Howe Cove. Die nächsten Fjorde kommen dann erst in Chile wieder, bis dahin kommen wir auf dieser Reise nicht. Es wird also bis auf Weiteres unser letztes Fjord sein. Ausgehend vom größten Ozean der Welt: dem Pazifik. Last orders please.

Bei diesem Wetter kommt Walhallastimmung auf: 50 shades of grey über dem Fjord, gräuliche Tannen auf der anderen Seite der Bucht, Tropfen über Wasser und auf dösigen Wellen.

Eine Robbe schaut belustigt dabei zu, wie Globetrottels mit rutschigen Schuhen auf nassen Steinen den Strand entlangschliddern. Bei Ebbe, fast windstill, findet man kleine Wunder am Wegesrand: ein perfektes Herbstblatt, kleine Muscheln an alten Baumriesen, angeschwemmt vor Ewigkeiten.

Am Ponton des Porteau Cove lernen wir, dass europäische, grüne Krabben eine invasive Spezies sind (Sorry, wir bleiben nicht lang.).
Neben der Brücke hat man Skulpturen im Meer versenkt, um den Rockfish wieder anzusiedeln, ein paar kunstaffine Taucher machen sich auf die Suche, denen kann das Wetter wumpe sein: unter dem Meer regnet es ja nicht.

Nach dem Morgenspaziergang gibt’s gebratene Nudeln von gestern mit den letzten Eiern von morgen– die müssen langsam weg, da (hoffentlich) die Einreise in die USA nicht mehr weit ist. Kochen unter der Bergerplane mit Meerblick. Danach wird das dritte Buch in drei Tagen aufgeklappt und der Regen prasselt unbeirrt weiter.

Nachmittag. Das Dauertröpfeln auf dem Dach macht wunderbar dösig und die 24 Grad im Magicbus tun ihr Übriges. Drinnen wird Sommer gefeiert, draußen tobt Herbst. Eine Diskrepanz, die sich aushalten lässt, weil zwei Jahreszeiten auf einmal auch ein Gewinn sein können. Auch ein Gewinn: die Dusche ums Eck.
Bedüselt und beseelt sammele ich meine Duschutensilien zusammen. Bedüselt und beseelt stehe ich unter einer heißen Dusche, beäugt von einer Großfamilie Schnacken. Zweimal Spülung, statt Shampoo macht butterweiches Haar, das Duschgel hat Kühlungseffekt –Summer edition—um das What-a-feeling-Sommergefühl im Bulli zu unterstützen. Hartes Handtuch auf Eukalyptushaut, eine frische europäische, grüne Krabbe. In Zeitlupe gehts minzig gekühlt durch den Regen wieder zurück in Richtung Magicbus, zwei Spülungen in den Hand und leider keine Kamera.

Im Pfützenslalom ist der Blick eher gen Boden gerichtet, damit die Waden nicht allzu schnell wieder allzu vollgesprenkelt sind. Der Blick aufs Fjord ist –rein aus Hygienegründen– eher sporadisch. Aus dem Augenwinkel sehe ich sie trotzdem. Denn das, was man sein Leben lang schon sucht, lässt sich nicht übersehen, wenns plötzlich neben einem auftaucht. Orcas.

In einem Kickstart der Sonderklasse schieße ich wie eine Rakete aus meinem bedüselten Zustand hinaus. ORCAS!! Ungefähr 20 Meter vom Ufer entfernt. DA schwimmen ORCAS!!
Seit Tagen starre ich nonstop gebannt aufs Meer, hielt Bojen und Baumstämme, hielt Robben und Seelöwen für alles andere als das, was sie waren. Immer auf der Suche nach Orcas, immer in der großen Hoffnung. Just in diesem Moment weiß ich: Orcas sind nicht zu übersehen. Drei riesige Tiere –so unverwechselbar—an der Uferkante. Keine Boje sieht so aus. Und auch kein Seehund. DA schwimmen ORCAS!! Unverkennbar.

In meinen schlabberigen Crocs renne ich los durch die Pfützen und rufe lauthals nach Chouchou: „Chouchou!! Komm schnell! Da schwimmen Orcas!! CHOUCHOU!!! ORCAS!!“
Leider sind es noch 500 Meter Spurt bis zum Bulli. Der ganze Campground hört mich, die Orcas auch, sie geben Gas. „Chouchou!! ORCAS!!“ Nur Chouchou hört mich leider nicht: er ist noch 500 Meter weg, in einem Magicbus, in dem die Heizung auf 24 Grad dröhnt und der Regen laut auf dem Dach klopft.
Dreieinhalb Minuten später knalle ich mit vollgesprenkelten Waden, hochrotem Kopf und vollkommen außer Atem an die Bullitür, schreie durch die Scheibe: „Chouchou!! Schnell!! ORCAS!!“, dreh mich auf dem Crocabsatz wieder um und renne sofort zurück… einen verdutzenden Chouchou im Schlepptau.
Fix und fertig kehren wir an den Tatort zurück. Zwei kleine Mädchen am Strand starren uns mit großen Augen an: zwei röchelnde, euphorische Wesen mit Feuermeldergesichtern und aufgerissenen Augen. Eine der Kleinen sagt: „Just three minutes ago a family of Orcas had been swimming by.” I KNOW!!!
Three minutes ago. Manchmal können drei Minuten eine ganze Welt sein:
Die Orcas sind weiter geschwommen…

Der Verlauf des restlichen Tages ist damit klar: Ich muss Stellung beziehen:
Alleine auf dem Ponton für zwei Stunden, dann wird es zu kalt, ich kehre in den Bulli zurück. Dort: auf der Rückbank, den Blick mit viereckigen Augen aufs verregnete Fenster geheftet, drei Stunden lang, dann wird es zu warm. Chouchou animieren, nochmal mit aufs Ponton zu kommen: dePabels bekommt den Logenplatz mit Blick aufs Fjord, Augen, die hektisch übers ruhige Wasser gleiten, eine Stunde lang. Doch die Orcis lassen sich nicht mehr blicken.

Manchmal glaubt man, ein Foto zu brauchen: von den besonderen Augenblicken im Leben. Um für sich selbst das Unglaubliche sichtbar zu machen, um Erinnerung zu konservieren, um Momente zu halten.
Meistens gibt es keine Bilder von eben diesen Wimpernschlägen, auf die man so lange hoffte, die dann unerwartet, plötzlich über einen hineinbrechen. Oft ließe sich das Erlebte womöglich auch gar nicht fotographisch festhalten, selbst wenn man eine Kamera zur Hand gehabt hätte.
Momente, die auf einen niederregnen, wenn man am allerwenigsten damit rechnet.
Vollkommen unvorbereitet.
Zum Beispiel: Am letzten Fjord im Dauerregen, mit zwei Spülungen in der Hand und mit post-Dusche-vollgesprenkelten Waden.

6 Kommentare

  1. Dagmar

    Konfuzius sagt:
    Die inneren Bilder sind die wichtigsten , sie gehören nur dir selbst und keiner kann sie dir nehmen.
    Wünsche dir noch viele Bilder😀🤗

    • Joana

      Liebe Dagmar!
      Dieser Konfuzius, der Wilde, war schon ein weiser Typ.
      Sammeln wir also weiter am inneren Foto- und Poesiealbum. Es hat noch so viel Platz darin…
      Liebste Grüße aus dem Regenwald,
      Deine Joana

  2. das Phantom

    So war es auch bei uns in Australien: Plötzlich eine Herde jagender Delphine – die fast den Strand raufschwammen.
    So schnell wie sie da waren – so schnell waren sie auch wieder weg…

    Auch wir hatten keine Kamera dabei – aber diese Bilder hat sich auch so für immer sich bei uns in die Hirse gebrannt 🙂

    Wie schon richtig beschrieben: Unverhofft kommt oft 🙂

    • Die Globetrottels

      Liebes Phantom!
      Bilder, die in die Hirse gebrannt sind, bleiben eh die wichtigsten.
      Bunt auf der Festplatte, so dass sie ein ewiges Hintergrundbild ergeben.🥰
      Sei von Herzen geknuddelt,
      Deine Globetrottels

  3. das Phantom (frisch geduscht und OHNE gesprenkelte Waden)

    habe Euch gefunden :-p

    https://nrs.objectstore.gov.bc.ca/kuwyyf/porteau_cove_campsite_map_56a30b0b1f.pdf

    • Die Globetrottels

      🥳!!
      Am AliceLake sind wir auf Platz 13.❤️
      Liebste Grüße an die frischen Waden.
      Ungesprenkelt,
      Deine Globetrottels

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