Rein dezibeltechnisch hätten wir heute Nacht auch auf der Startbahn eines internationalen Flughafens schlafen können. Oder auf einer Standspur der A3. Oder neben dem Subwoofer eines Punkkonzerts. Gefühlt fielen die gesamte Nacht faustdicke Tropfen auf ein viel zu dünnes Magicbusdach, im Whittier Creek hundert Meter weiter donnerte ein immer berstenderer, namenloser Wasserfall ins Tal. Mindestens 110 Dezibel. Und alles ohne Oropax wegen Tsunamiparanoia.
Ein Wunder, dass wir am Morgen wie aus dem Ei gepellt sind.
Der Bulli steht mittlerweile in einem Marschland, Crocs versinken in 5cm tiefen Schlick. Immerhin liegt so viel Regenwasser auf der Bergerplane, dass wir uns damit endlich mal wieder ausgiebig waschen können. Samstagswellness mit Waschlappen.

In Whittier regnet es unbeeindruckt weiter. Über Nacht hat tatsächlich doch noch ein Kreuzfahrtschiff angelegt: die Princess cruise Sapphire. 2670 Gäste, 1100 Crewmitglieder. Whirlpools und Schwimmbad an Deck, Casino, eine europäische Piazza wurde extra nachgebaut – zum internationalen flanieren. Zwölf Restaurants, sechs davon mit Sterneküche. Dann noch: Kunstgalerien, Geschäfte, Wellnessbereich und Spa, Kinos, mehrere Theater, ein Nachtclub. Nur ein Bordell wird auf der Internetseite nicht aufgeführt, ansonsten ist für alles gesorgt.
Eine Balkonkabine kostet für eine Person ab 3252 Dollar, aktueller Rabattpreis. Ohne alkoholische Getränke und Ausflüge, sieben Tage lang. Ein Trip zum PortageGletscher (wir erinnern uns an das Geisterschiff von gestern) liegt bei 200 Dollar. 200 Dollar für eine Fahrt von 6 Kilometern per Bus, durch den längsten Tunnel Nordamerikas (13 Dollar für den Magicbus und zwei Personen), ab dann auf ein Schiff in den Nebel. Man gönnt sich ja sonst nix.

Mit großen Augen fahren wir an diesem Koloss vorbei. Und fragen uns, wie das eigentlich mit dem Abwasser funktioniert. Hat die Sapphire womöglich eine eigene Kläranlage an Bord? Und wie man sich wohl so fühlt: als Gast, als Crewmitglied, als Einwohner von Whittier, wenn sich plötzlich ein solches Monstrum über den Ort erbricht. Geldmaschine für viele. Nur für die Crewmitglieder wohl eher nicht.

Für uns geht’s deutlich kostengünstiger auf die Kenai Halbinsel. Das gleiche Wetter wie die Kreuzzügler haben wir trotzdem. Nach der Hochebene verzieht sich der Regen über die Gletscher, quer durch den Chugach Nationalpark, vorbei an den Restschäden des großen Swan Lake Brandes, der 2019 fast 70000 Hektar Wald dem Erdboden gleichgemacht hat.

Am Williwaw Creek schauen wir riesigen Lachsen dabei zu, wie sie wacker stromaufwärts schwimmen. Grizzlybuffet ohne Bären in silber, pink und rot. Heute haben die Freunde Chum, Sockeye, Humpback und Coho Glück gehabt. Und auch wir können ganz in Frieden staunen.

Homer.
Am westlichsten Ort unserer gesamten Reise parken wir mit Meerblick ein. Wenn die Beringsee bald zufriert, können wir von hier aus bis nach Russland laufen. Weiter westlich geht es für uns dieses Mal nicht mehr. Ein weiterer Meilenstein.

Die Stadt schauen wir uns morgen in Ruhe an. Nach einem Plausch mit unseren Nachbarn aus Nevada (Susan und Dane mit dem wilden Hundchen Maggie, winzig, watteweich und erst ein Jahr) und einem noch netteren mit Annette (Lehrerin a.D. aus Berlin, mittlerweile in Fairbanks lebend, da sie den hiesigen Meeresgeologen der Uni vor drei Jahren geheiratet hat), wollen nur noch einen kleinen, entspannten Strandspaziergang machen. Und duschen.

Der kleine, entspannte Strandspaziergang eskaliert natürlich kurz hinter der ArtGallery.

Hätten wir gestern dem Seebären in Whittiers Bärenunterführung besser zugehört, hätten wir uns merken können: Alaska ist niemals nur klein oder entspannt. Alaska ist immer „a wild place“. Und so wird aus dem Spaziergang eher ein Steinchenhopsen, ein über ins-Meer-mündende-Bergbäche-springen, ein Schwitzen und auch ein kleines bisschen fluchen über „nasse Föß“ – trotz wasserfesten Schuhe. It´s a wild place, selbst beim Strandspaziergang. Monströse Algen sind außerdem extrem rutschig. Wir brauchen dringend Gummistiefel.

Die heiße Dusche danach haben wir uns auf jeden Fall verdient. Eine dauerhaft heiße, zeitlich unlimitierte, ganz private, supersaubere Dusche mit gutem, harten Wasserdruck.
Es ist enorm, wie man sich darüber so sehr freuen kann: zwei Schneekönige, blitzeblank, in Kaisers neuen Kleidern.
Vier Tage ohne fließend Wasser machen demütig. Und sehr dankbar.
Achtsamkeit kommt da ganz von selbst. Dafür braucht es keine Anleitungen.