Der einzige sonnige Tag für Wochen brennt uns aus den Federn. Um acht steht die Sonne bereits hoch.
Aufgestanden! Es ist an der Zeit, diesen einen Tag Leben auf den Lofoten zu leben.

Kaffee auf dem Hügelchen am Meer mit Rundumsicht. Ein leichter Wind bläst freundlich, er treibt den letzten Sommertag über dem Polarkreis weich wehend vor sich her.

Frühstück gibt es erst spät. Dafür aber mit allem Zick und Zack. Zuckerzufuhr für den sportlichen Teil des Tages.

Kurz vor Mittag ist es endlich mal wieder Zeit für Das Bøøt. Viel zu lange liegt es schon geduldig wartend im Kofferraum. Noch nie hat es Norwegen gesehen. Sein letzter Einsatz auf dem Vildmarksvägen in Schweden. Vor gefühlten Ewigkeiten. Zu lang her.

Das Aufpusten läuft erwartungsvorfreudig zackig: innerhalb von 10 Minuten sind wir drei startklar. Und der Magicbus ist froh, dass er ausnahmsweise heute mal nicht dran ist. Dass er den Aktivitätsdrang abgeben kann an halbstarkes Gummi ohne Salzwassererfahrung.

Auf dem Fjord ist es windiger als man auf Land vermutet. Unter uns blauklares Wasser, von dem wir gar nicht wissen wollen, was alles darin schwimmt, wie tief es schlussendlich wird und welche Einwohner potentiell nach uns schnappen könnten. Wohlwissend, dass das nach uns greifende Seegras womöglich das harmloseste von allen ist.

Gegen den Wind paddeln wir in Richtung Miniinsel – sehr viel langsamer und mit deutlich mehr Muskelkraft als erwartet. Sehr schnell merken wir: Dies hier ist gänzlich anderes Paddeln als auf einem schwedischen See. Mit Böen von vorne und unsichtbaren Strömungen von unten, die Männchen mit uns spielen könnten – wenn sie es denn wollten.

Heute aber will das keiner: Njörd –nordischer Gott des Meers und der Winde– sei Dank. Weder Wind, noch Wasser oder Meeresgetier greift nach uns. Nur eine Hummel weicht uns nicht von der Seite. Ohne sie „bodyshamen“ zu wollen muss man ehrlich sagen: sie ist sehr, sehr dick. Henning, unsere Begleithummel.
Wir treiben von rechts nach links, zwei vor, drei zurück. Das Bøøt dreht sich in Richtungen, die unerklärlich sind für uns: erstaunte Wesen an der Wasseroberfläche.
Es macht Spaß – auf einem Meer, das selbst an freundlichen, zarten Tagen wie diesen keinerlei Zweifel daran lässt, dass mit ihm niemals zu spaßen ist. Eine sehr aufregende Sache.

Nach drei Kilometern (Chouchou meint „bergauf“), wollen wir unser nautisches Anfängerglück nicht weiter herausfordern. Und sind trotz allem bändig happy: die Globetrottels sind auf dem Polarmeer gepaddelt!
Pustekajak auf den Lofoten fahren – das hätte zweifelsohne auf unserer Bucketlist stehen können. Wenn wir denn eine hätten.

Der Nachmittag vergeht mit Maschen und Meerblick, Reality-Filmchen schneiden und Science fiction lesen. Um vier ist der perfekte Zeitpunkt für Fjorddip. Danach gibt’s lange, heiße Dusche für umme.

Kochen im letzten Sommersonnenschein. Es gibt Blumenkohl und Tikka Masala. Großes Seelenessen in reichlicher Menge.

Beim Zusammenfalten von Das Bøøt krabbelt plötzlich die dicke Hummel auf halbstarkem Gummi (jetzt mit Salzwassererfahrung!) vorbei. Fast hätten wir ihn mit eingerollt: Henning, die Begleithummel.
Vollkommen entkräftet von der Reise auf hoher See, bewegt er sich keinen Zentimeter, sondern tastet nur noch lethargisch mit dem Rüsselchen umher. Vollkommen fix und fertig.
Ganz sachte helfen wir Henning erst einmal runter von Das Bøøt. Wir betten ihn auf den Tisch und überlegen, wie wir ihm am besten helfen können. Ein Hummelsanatorium muss her!
Aus einem Zewa errichten wir den Zauberberg. Henning thront müde auf dem Gipfel und interessiert sich initial noch wenig für das, was um ihn herum passiert.

Zu Hennings Linken gießen wir einen Nektarsee (aus Agavendicksaft), zu seiner Rechten entsteht ein frischer Pool (Quellwasser angerichtet in einem Flaschendeckel).
Nach vier Minuten beginnt Henning mit seinem Rüssel vorsichtig nach dem Nektarsee zu tasten. Leider ist er etwas ungeschickt dabei. Nachdem er den Saft für gut befunden hat, tapst er vor lauter Gier mit all seinen dicken Hummelfüßen mitten hinein und klebt danach am Zauberberg fest. Mensch Henning.
Als nächstes also muss gebadet werden.
Mit der Stricknadel löse ich Hennings klebrigen Fuß und tauche ihn in den Flaschendeckelpool. Henning beginnt sich zu putzen, indem er ins Wasser taucht und sich dann genüsslich die dicken Hummelzehen leckt.
Nach dem Wellnessbad (es dauert ewig!) erneuern wir das Poolwasser. Henning soll jetzt Zeit haben, sich vollkommen zu relaxen.

Ich setze mich auf den Chefplatz mit Blick übers Fjord und beginne, diesen Tag zu tippen. Ein paar Austernfischer fliegen krächzend vorbei, bevor sie sich kamikazeähnlich ins Wasser stürzen.
Ich schreibe von unserem letzten Tag am norwegischen Polarmeer. Ein Bilderbuchtag, der besser nicht hätte sein können.

Zurück am Magicbus will ich nach Hennings Gesundheitszustand schauen.
Aber der Zauberberg liegt verlassen da.
Der Nektar aufgeschlabbert, der Pool halbleer, von Henning keine Spur mehr weit und breit.
Und ich!? Ich könnte glücklicher nicht sein.
Wissend, dass dieser Tag zu Ende geht mit nicht einer Hummel weniger dort draußen.
Weil Henning eines dieser Rädchen im großen Ganzen ist, auf das es ankommt. Weil er den Unterschied macht.
Weil Henning dieser eine ist, auf den wir niemals –nie!– verzichten können.
Genauso wie Du.