Unterwegs im Magicbus

Unsichtbare Flamingos

Reventin Vaugris, 8h, an einem knurrigen Friedhof – immerhin mit einer sehr lebendigen Kirchenglocke.
Die zahlreichen Wohnmobile, die am Abend noch neben uns parkten, haben deren Gebimmel nicht gebraucht. Über Nacht sind alle abgereist. Ausnahmslos. Nur der wahrlich nicht mehr EU-taugliche Bulli rostet weiterhin still vor sich hin. Drinnen zwei wohlleibige Engländer, die anscheinend noch im Salz liegen. Neben uns. Mit uns. Wie verbindend Bullileben doch sein kann. Vereint im Rost der 90er.

Baguette adrett vom Büdchen an der Ecke. 1 Euro, aber erst ab 8:30h. Die spurlos verschwundenen WoMos haben etwas verpasst. Ein sehr knuspriges Stück Reventin, gebacken durch fleißige Hände, die genauso gut per Eilpost gesendete, eisgekühlte Jakobsmuscheln im Kühlschrank verpacken können. Flink. Aber erst das eine, und dann das andere. Zeit haben. Südfranzösische Zeit. Das wohl ist der erste Schritt zum savoir-vivre.

Ich weiß nicht, wie oft wir schon in die Provence eingerollt sind. Alleine, gemeinsam. Als Kind, als Teenie, als junge Erwachsene, irgendwann zusammen. Als Freunde, als Paar. Als ewige Kinder und alte Seelen. Verliebt, verlobt, verheiratet. Einmal sogar, war ich mit kreischendem Liebeskummer hier. Auf diesem ockerfarbenen Boden, umhüllt von melancholischem lila. Das ist lange her. Der Rest aber ist es nicht.
Denn dieses Stück Erde trägt Ewigkeit in sich. Vielleicht ist es die? Ein Hauch dieser sagenumwobenen Ewigkeit, die nicht nur Konfettikanonen im Herzen zünden kann.

Passgenau -kurz hinterm Luberon- passiert genau das. Ohne Ankündigung. Ganz unerwartet.
Aus dem Nichts heraus explodiert in meinem Brustkorb plötzlich ein violettfarbenes Glücksfeuer.
Ich atme ein und bekomme kaum noch Luft, weil ich auf einmal Luft bekomme. Sauerstoff in Ritzen, die ewig nicht geatmet haben. Auf einmal ist Weite da. Weite, wo vorher lange nur Enge gewesen ist. Das merke ich jetzt. Jetzt.
Ein Pfropf, der sich unerwartet löst. Dahinter ergießen sich ganz viele Tränen. Tränen der Erleichterung.
Endlich.

Nach Südfrankreich zu fahren ist immer ein bisschen wie NachHausekommen.
Wohlige Gefühlsschauer wie Pitzel von Wunderkerzen, die an einem großen Abend auf nackte Haut niederregnen. Im Festkostüm. Aber ganz ohne Aufregung und abschminken danach.

Dass der Campingplatz ganz wunderbar ist passt. So wie die Pinien und die Palmen. Und die unsichtbaren Flamingos. Die muss kein anderer sehen. Mir reicht es zu wissen, dass sie da sind.

Genauso wie man weiß, dass die Welt noch da ist – auch wenn die Sonne schon lange über dem Meer untergegangen ist.
Die Erinnerung in tiefer Nacht bleibt aber um so viel hoffnungsvoller, wenn das letzte Bild des Tages pastellig war. Blau, lila, rot, gelb, orange. Und ein sich seicht wiegenes Boot vor Anker.
Als wäre Glück in ein Gemälde gegossen.

1 Kommentar

  1. De Mamel

    Unglaublich, wie emotional du schreibst! Ich fühle mich einfach mitgenommen! Einfach nur wunderbar😘🍷

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