Unterwegs im Magicbus

Schultersaison. Nass.

Ab heute verstehen wir, warum die Hauptreisezeit in Alaska Mitte August bereits endet: es hat wohl mit dem Wetter zu tun.
Der Morgen begrüßt uns mit zartem Tröpfeln auf dem Dach. Es soll ganz bald zu Sturzregen werden. Der alaskanische Sommer ist aufgebraucht, einer nasser Herbst im Anmarsch.
Kurz hinterm Gletscher beginnen erste bunte Blätter an windverwehten Laubbäumen, die nadeligen Brüder sind gewichen.

Unser erster Stopp soll heute 60 Meilen hinter dem Gletscher sein. Wir fahren im strömenden Regen nach Palmer, 6094 Einwohner, agrikulturelles Bollwerk in mitten menschenfeindlicher Umgebung. Kurz nach der großen Depression (–ich Klugscheißer darf aufklären: wir befinden uns in einem sonnigen Mai im harten Jahre 1935–) kam Präsident Roosevelt auf die grandiose Idee, verarmte Farmer aus Michigan, Minnesota und Wisconsin nach Palmer zu verfrachten, um dort ein riesiges landwirtschaftliches Experiment zu starten: Baut, baut, ihr armen Socken, riesige Farmen in dies öde Tal. Mögen die Gemüsegötter mit euch sein, in einem Wimpernschlagsommer, einem endlos, nassen Herbst und ewigem Winter. Viel Glück und nieder mit der Prohibition.
Wie zu erwarten, ist es den meisten Farmern nicht geglückt. Ein paar wenige allerdings bewiesen unter der Mitternachtssonne einen äußerst fruchtiggrünen Daumen. Gigantische Kürbisse, Monsterkarotten und exorbitante Kohlköpfe waren die Folge. Noch heute brüstet sich der ansonsten so bescheidene Ort stolz mit seinen Rekordwerten:
Dickster Kohl: 62,5 Kilo. Moppeligster Kürbis: 935 Kilo. Größte Möhre: knapp 30 Kilo.

Die gigantischen Farmen mit ihrem gigantischen Gemüsen gibt es noch immer, hier kurz unterhalb des nördlichen Polarkreises, geführt von –meist christlich gesplitterten– Enkelkindern der Gründäumlinge.

Ein wenig surreal wirkt das schon. Und äußerst spannend für eine leidenschaftliche Balkongärtnerin wie mich. Auch Chouchou zeigt sich tapfer: er tapert in den verregneten Stadtgarten mit, wo ich mich an öffentlichen Himbeeren und winzigen Zieräpfeln („crabapple“) satt esse und posiert danach kühn neben einem monströsen Plastikkohl. What´s love got to do…

Weiter geht’s nach Anchorage, mittlerweile in frontal schneidendem Binsenregen.

Die Hauptstadt Alaskas: graumelliert, verwahrlost, weitestgehend charmefrei. Statt –wie geplant– in einer LGBTQIA+-Bar weltbürgerliche Flagge zu zeigen, gehen wir hier nur einkaufen. Neben Kontakt mit Mechanikern und Elchjägern auch eine sehr beliebte Aktivität, um die Menschen vor Ort zu beobachten: im Walmart zum Beispiel, oder noch besser im Cabelas.

Der Walmart wimmelt vor Inuits. Die meisten tragen Gummistiefel, Shorts und Regenponchos, unter denen man noch rauchen kann. „Healthy meals“ sind extra ausgeschrieben, dreieinhalb Kilo koschere Gurken und zwei Kilo Rinderpopo im Angebot, die längste Schlange bildet sich an der großzügig ausgestatteten Pharmacy.

Die Dame an der Kasse heißt Ginger. Sie liest unsere Produkte in retardierter Zeitlupe ein. Während des Scanvorgangs habe ich mehr als einen lockeren Moment, um in den Washrooms zu verschwinden und frisch gewaschen wieder aufzutauchen. Ginger hat derweil drei weitere Produkte eingetippt. Drei von 79. Eigentlich könnte ich nochmal los, mir die Haare zu waschen. Wie schön, dass die Menschen hier noch Zeit haben.

Und dann ganz schnell den Einkauf durchs Unwetter retten.

Endlich wieder Cabelas. Dieses unglaubliche, aus der Welt gefallene Outdoorkaufhaus.

Alle Tiere Alaskas, die größer als ein Dackel sind, findet man hier ausgestopft an den Wänden (darunter den süßesten Bagder der Welt, leider tot), in einem Aquarium schwimmen Lachse. Hinten links findet man die Schnellfeuerwaffen, mittig die Armbrüste, rechts Angeln und Kajaks.

Wir brauchen lediglich Moskitospray und Gaffeegochkas – vorne rechts. Vorne links ist das Trockenfleisch und die dazugehörigen Chilisoßen, die in ausgefallenem Humor gelabelt sind.
Veteranen dürfen bei Cabelas direkt vor dem Eingang parken und bekommen natürlich Extrarabatte. Als Dank am Dienst fürs Vaterland. Die Wohnmobilflotte muss sich etwas abseits stellen, ist als Übernachtungsgast aber durchaus auch gerne gesehen.

Cabelas ist für sich alleine sehenswert, offenbahrt es doch ganz viel Seele dessen, was außerhalb der Wände –was dort draußen– vor sich geht.

Dort draußen geht für uns vor allem die Welt erstmal weiterhin im Starkregen unter. Für Anchorage und die Kenai Halbinsel sind bis Sonntag mögliche Überschwemmungen angesagt. Sonne – nirgendwo mehr in Sicht.

Auf der Küstenstraße gen Süden weht es böenartig und hart. Unser Tankdeckel fliegt im dauerhaften Gegenwind knallend auf, die Bäume am Ufer neigen sich demütig gen Norden. Schrumpelige Ebbe, das Restwasser schäumt wildlinksweiß, aus dem Golf von Alaska zieht ein erwachsener Sturm herauf. Alaskawetter Ende August.

Am Bird Creek parken wir für die Nacht ein: Schnauze windabgewandt, weit genug weg vom Bächlein, beschützt durch eine gute Hecke. Ab heute verstehen wir, warum die Hauptreisezeit in Alaska Mitte August bereits endet: es hat wohl mit dem Wetter zu tun.
Schultersaison. Nass.
Wir kuscheln uns im Magicbus ein, vor dem die gute, alte Bergerplane verzweifelt den pazifischen Winden strotzt. Sie wird es schon machen.

*It´s a different world up here. *
Ganz besonders, wenn der Sommer sich plötzlich geneigt hat.

2 Kommentare

  1. das Phantom

    Meine lieben Globetrottels,
    auch hier hat es heute heftig gestürmt, geblitzt und geknallt – so als ob es kein Morgen gäbe.
    Demnach: auch hier verabschiedet sich der Sommer in rheinischer Form: Regen, Regen, Starkregen 🙂

    • Chérie

      Liebstes Phantom!
      Verrückter Easyrider, Kutschenkapitän, Basassradler von Welt.
      Und so stehen wir verbunden unter diesem Regen, der im Rheinland und am Golf von Alaska auf uns alle herunterfällt. Er wird reinigen und die Durstigen tränken.
      Vergiss die Gummistiefel nicht. Und den Regentanz mit Guili und der Fledermaus. 😉
      Wir drücken Euch alle soo doll, heute wieder unseren Zoo aufgefüllt.
      Deine Globetrottels

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