Unterwegs im Magicbus

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort nach Hope

Ein wenig blutet das Herzchen schon als wir unseren tiergesegneten Ankerpunkt verlassen. Trotz Regen war Anchor Point für uns ein Paradies, am Ende dieser unglaublich schönen Welt, die hier so vielen Raum gibt, in echter Freiheit leben zu dürfen:
Beflügelte, Beflosste, Fellnasen, Hündische des Meeres und sogar den Gehörnten, wie wir später selbst erleben dürfen. Aber eins nach dem Anderen.

In Soldotna, 100 Kilometer weiter, können wir einkaufen. Bei Fred Meyer – hatten wir auch noch nicht. Bisher haben uns in Alaska immer drei Bären bedient: der flächendeckenste Superstore seit 1980 heißt „Three bears Alaska“. Heute muss Fred es lebensmitteltechnisch reißen: er ist unser einziger Zivisilationskontakt und mal wieder hängen wir staunend in der Auslage.
Mineralwasser gibt es in den USA selten und wenn, dann nur zu exorbitanten Preisen. Bis dato ist mir nicht bewusst gewesen, dass Sprudel ziemlich europäisch ist. Ein geflügeltes amerikanisches Sprichwort lautet: »Don´t trust people who drink sparkeling water.« Warum auch immer!? Unsere letzten Importfläschchen Perrier hüten wir seither wie unsere Augäpfel und packen –unten den Argusaugen von Freds Angestellten– lieber vertrauenserweckendes, stilles und vor allem erschwingliches Bergquellwasser ein. Bergquellwasser: übrigens auch eine Rarität. Wenn überhaupt geht Wasser hier galonenweise nur destilliert über die Theke. An Ökos oder Bügelsüchtige, der normale Mensch nämlich trinkt Limo.

Nächste Theke: Brot. Fred hat tatsächlich Baguette gebacken. Ganz versteckt am Ende der gigantischen Bäckerei finden wir eine Stange im untersten, hinteren Regal, nachdem wir uns durch Berge von schaumgummiartigem Weißbrot gewühlt haben. Ich möchte ja nicht allzu hart werten, komme beim Thema Brot aber nur schwerlich umhin: Fred backt wirklich vorzügliches Baguette, warum bloß kaufen alle anderen Marshmallowtoast? Ist das ein Hang zur inneren Selbstverwahrlosung!? Anders kann ich es mir wirklich nicht erklären. Aber ja: Geschmäcker sind verschieden. Und Zahnstrukturen auch. Dringend Zeit, die Wertung wieder auszuschalten.
Vier klebrige Donuts landen natürlich auch im Wagen: triefend fettiger Applefritter, Schokokringel, gerollte Zimtstange und ein schreiend quietschigbuntes Gebäckstück, das ich nur haben will, weil es geil aussieht.
Das Bierchen wurde von der „Alaskan“ Brauerei gebraut: „Kölsch“. Ernsthaft. Wir kaufen es aber, weil ein Orca auf der Dose ist. Die Globetrottels als Labelingopfer.

Und dann passiert es. Endlich. Nach 12000 Kilometern quer durch Kanada und Alaska, nach 150km durch wunderschöne Berg- und Seewelt heute. Wir hatten nicht mehr damit gerechnet, doch dann ist er da…

In tiefem Frieden, direkt am Wegesrand grasend, steht ein junger Elch. In aller Seelenruhe, voller Eleganz, ist er ganz bei sich und vollkommen unbeeindruckt, dass wir zwei Meter neben ihm halten. Wunderschöne, berührende 15 Minuten dürfen wir direkt bei ihm sein.
Koexistieren. Existieren. Miteinander: Der schönste Elch, der ganzen weiten Welt –zweifellos– und zwei zutiefst bewegte Globetrottels, bevor er langsam und gemächlich über die Straße von dannen zieht. Es ist 12:50h. Punktgenau 6 Wochen nach dem 18. Juli, abends um zehn vor elf, mitteleuropäischer Zeit. Und mein Herz läuft über. Es kann gar nicht mehr aufhören. Hoffnung.

Hope. Genauso heißt unser heutiges Ziel. Wir schlagen der Sintflut an der Ostküste der Halbinsel ein Schnippchen und sitzen den Regen heute noch im seichten Westen von Kenai aus. Natürlich voller Hoffnung, mal wieder in einer Sackgasse.

Am Ende der Straße liegt der Porcupine Campground. Vor allem Chouchou freut sich emsig über diesen Namen – wir erinnern uns an das hocheuphorische Stachelschwein aus Homer (über das ich mich noch immer kaputtlachen muss, wenn ich es auf dem Foto sehe).
Auf dem Porcupine herrscht Bärenalarm: „Soft sided camping“ und Zelte sind nicht mehr erlaubt, seit Anfang August tapst ein Schwarzbär in regelmäßigen Abschnitten über den Platz. Meist täglich, manchmal macht er auch ein paar Tage Pause. Seit vier Tagen nicht mehr gesichtet, wird es eigentlich langsam wieder Zeit.

Wir überlegen kurz, ob unser Dachzelt unter „soft sided“ fällt, das letzte freie Plätzchen mit Blick auf den Turnagain Arm ist dann aber so reizvoll, dass wir beschließen, ein HartschalenMagicbus durch und durch zu sein. Just beim Einparken schwappt die berühmte Tidal Bore den Fjordarm hoch: auch das ist ein zustimmendes Zeichen dafür, dass der Magicbus ein Hartschalenbulli ist. (Bitte nicht fragen warum, es ist einfach so.)

Heute Abend lauschen wir zartem Niesel auf unserem plötzlich ganz und gar nicht mehr „softsided“ Dachzelt, während die Sintflut im Osten der Insel runterkommt. Ab und zu linse ich mal aus dem Fenster, auf der Suche nach Belugas, die ihr Köpfchen vielleicht aus den Fluten strecken. Sie leben direkt vor uns: im Turnagain Arm und sollen vor allem im August und September hier nach Lachsen suchen. Die Chancen sind nicht allzu groß, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.
Sowieso nicht, so lange wir in Hope sind.

2 Kommentare

  1. Dagmar

    Wunderschön du hast einen Elch gesehen, meiner in Schweden war ja nur eine Fahrradfatamorgana…. lg

    • Joana

      Liebe Dagmar!
      Eine ordentlich Fahrradfatamorgana ist auch nicht zu verachten. Aber Du hast recht: eine echte Elchin, das ist schon etwas Wunderschönes.
      Mit immer noch vollem Herzen tippend,
      Deine Joana (in Elchiliebe)

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