Gerne wären wir noch geblieben: in unserem wunderbaren Dschungelcamp – zweifelsohne eines der schönsten seit Karl, dem Kaktus und Panzerklaus, dem Gürteltier. Aber die Straße ruft wieder.
Heute geht es für den Magicbus, die „mystery machine“, unsere persönliche „Cathedrale of junk“ allerdings nicht allzu weit. Nach 10 Meilen sind wir bereits da. In St. Augustine.

Bevor wir die am längsten durchweg besiedelte Stadt der USA betreten, bekommen wir bereits vor der hochgezogenen Brücke einen Vorgeschmack unseres heutigen Themas. An der „Bridge of Lions“ steht ein erstes Denkmal der Friedensbewegung. Die Gesichter der Freiheitskämpfer sind ausgekratzt – das nenne ich mal ein Intro…

Am Hafen finden wir ein feines Parkplätzchen. Während der Bulli in den nächsten Stunden Flussblick genießt, wollen wir uns auf die Spuren von mutigen Frauen und Männer begeben. Unter ihnen Martin Luther King, der diesen Ort als den „rassistischsten den ganzen USA“ bezeichnete. Steht sogar auf der Webseite der Stadt.

St Augustine ist –schaut man nur auf die Fassaden– eines der hübschesten Örtchen, das wir seit langem durchwandern. Weil Geschichte in den Gassen haust – selbst wenn sie weitestgehend keine rühmliche ist. Wahrlich alte Häuser frisch saniert, eine imposante Kathedrale unweit eines Rathauses, das man als historisch bezeichnen kann. Die Stadt existiert seit 1565, das weitgehend unzerstörte Stadtbild ein Inbegriff der Kolonialarchitektur. Und Stolz tropft von den Häusern mit wilder Weihnachtsdeko, an denen Hündchen in Adventskostüm vorbei hoppeln, aus dessen Fenstern Hände, Mottoshirts und Meerjungfrauen nach draußen blicken.

Mit uns sind zahlreiche Touristenbusse vor Ort. Wie gut, dass die meisten Menschlein darin sehr fußfaul sind, ansonsten wären die Straßen pickepackevoll.

Im Visitorcenter empfängt uns eine Dreifaltigkeit der so bezeichneten „diversity“ der Stadt als Wachsfiguren: ein spanischer Eroberer, ein –-scusi, ich muss es so schreiben!—Indianer, ein Sklave.
Wir lernen als erstes: „diversity“ funktioniert hier nicht in Waage-, sondern in eiskalter Senkrechte. Von oben nach unten.

Historische Selbstkritik finden wir hier nicht, im Gegenteil: Hoch lebe der Segen der Kolonialisierung.
Vom „Freedom trail“, einem Spaziergang zu Orten der afroamerikanischen Freiheitsbewegung, deren bekanntestes Gesicht Martin Luther King gewesen ist, hat die Dame hinterm Schalter noch nie etwas gehört: Freedom what?
Die Schwüle des Tages tropft still an den klimatisierten Fenstern von außen ab. Schlechte Luft, hier lässt es sich kaum atmen. I can´t breathe.
I can´t breathe? Nee, hab ich noch nie gehört…

Schlussendlich finden wir das entsprechende Infoblättchen trotzdem. Unter den Flugblättern des Foltermuseums, der Geistertouren, der historischen Trolleyfahrten und des Wachskabinetts.
Wir stiefeln durch die Einkaufsstraße los in Richtung der „Plaza de la constitución“. Ein Gedenkspaziergang zu Orten, die nicht angeschlagen werden, vorbei an einem –leider sehr ernst gemeinten– Gruselkabinett der politischen Rechten.

Ehemaliges Woolworthkaufhaus:
1963 trafen sich hier schwarze Studentinnen und Studenten zum pazifistischen Sit-in im Bereich der Weißen – ein „Vergehen“, für das sie ein halbes Jahr hinter Gittern landeten.

Andrew Young Crossing:
der Ort, an dem Andrew Young (späterer Bürgermeister Atlantas und erster afroamerikanische UN-Botschafter) einen von Martin Luther King initiierten Protestmarsch anführte und von einem wütenden weißen Mob fast totgeschlagen wurde. Young und alle anderen Aktivisten blieben –trotz der harten Gewaltanwendung von außen– ihrem gesetzten Gebot der Gewaltlosigkeit treu. Keiner wehrte sich gegen die Schläge.
Heute wird dieses Ereignis von vielen Historikern als eines der zentralsten Ereignisse angesehen, das zur letztendlichen Verabschiedung des Bürgerrechtsgesetzes führte, dem Gesetz, das eine Diskriminierung auf Grund von Rasse, Religion, Geschlecht oder Herkunft verbietet und 1964 endlich in Kraft trat. Heute galoppiert ein Einhorn darüber.

Die Monson Steps:
Letzte verbleibende Stufen des Monson Motor Restaurants, in dem 1964 nur Weiße speisen durften, in dem sich Martin Luther King mit seinen Kumpels trotzdem zum Lunch verabredete und von der Treppe weg verhaftet wurde.

King schrieb drauf hin aus dem Gefängnis einem befreundeten Rabbiner mit der Bitte, sich der Bürgerrechtsbewegung anzuschließen, was dieser auch tat.
Massenweise Rabbis machten sich auf den Weg zum Hotel, es folgte die größte Verhaftungswelle jüdischer Geistlicher im Juni 64 – am gleichen Schauplatz.
Am selben Tag sprangen weiße und schwarze Aktivisten in den Hotelpool, um ein weiteres Zeichen gegen die Rassentrennung zu setzen. Der Hotelbesitzer kippte daraufhin Salzsäure ins Wasser.
Fotos von dieser Aktion wurden auf der ganzen Welt ausgestrahlt und wurden zu einem der einschlägigsten Bilder der gesamten Bewegung. Schlussendlich unterstützend, um endlich an ein Ziel zu gelangen, was unter uns Menschen eh selbstverständlich sein sollte.

Es macht endlos betroffen, an Orten wie diesen zu stehen. Sich diesen Mut der Menschen vorzustellen, sich dieses bodenlose Unrecht vor Augen zu führen. Ein paar Tränen sind da mehr als angebracht.
Genauso wie zwei Friedenskerzen im griechisch orthodoxen Schrein: für Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit und Toleranz. Goddamn – warum bis heute nicht selbstverständlich?! Menschlich – normal…es ist unbegreiflich.

Der wild gewordene Musiker Oldboy Jo spielt uns mit seinen vier Instrumenten gleichzeitig ein wenig aus der Nachdenklichkeit heraus. Thanks, old Jo.

Am Wasser atmen wir einen kühlen Wind, bei 25 Grad ein Luftgeschenk.
Am Castillo de San Marcos tummeln sich Prinzessinnen und Piratinnen – erste wird fotographiert, zweite muss Kiddies für Geschichte begeistern.

Die Brücke wird wieder hochgezogen und senkt sich – für uns ist Zeit weiter zu düsen — an ausladender Weihnachtsdeko vorbei, einem Schulbus unter Blüten und einem Haus, dessen Besitzer die Nase von Hurricans voll hatte und nach der Zerstörung des letzten nur noch auf Container setzt.

In der Manage der wild gewordenen Hörnchen parken wir für die Nacht ein. Die kleinen Schlawiner flitzen wie jeck die Bäume auf und ab, liefern sich eine Schlacht, die eigentlich vollkommen unnötig ist.
Hörnchen, zieht doch einfach die Boxhandschuhe wieder aus, hier gibt es genug Platz für uns alle.
Nicht nur nebeneinander. Sondern vor allem: gemeinsam…

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